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Wählen mit 16?

Leben wir in einer 'Alte Säcke'-Politik? Sollten junge Wähler mehr Gehör und politische Beteiligung finden? Diese Debatte steht in Deutschland schon einige Zeit im Raum. Wie denkt ihr darüber? Seht euch das Video zum Wahlalter an und sammelt Argumente für und gegen die Senkung des Wahlalters. Anschließend bekommt ihr eine Position (dafür oder dagegen) zugeteilt und diskutiert in einer moderierten Fernsehsendung miteinander.

 

Manuskript des Videos zum Mitlesen:

Beim Brexit stimmten die 18 bis 24-Jährigen zu 73 Prozent für den Verbleib in der EU und nur 27 dagegen. Wie dieses Referendum ausging, wissen wir alle. Und auch Donald Trump wurde Präsident, weil er bei den Wählern über 45 punkten konnte. Gleichzeitig entsteht eine neue globale Jugendbewegung. Kinder und Teenager, die sagen: „Uns reicht's! Wir sind diejenigen, die unter den kurzsichtigen Entscheidungen der alten am meisten leiden werden.“ Ist es gerecht, dass eine Generation die Welt beherrscht, die mit den Konsequenzen ihres Handelns nicht mehr lange leben muss? Und was wäre eine Lösung für dieses Dilemma?

Aber mal im Ernst: Eine Wahlalterbegrenzung nach oben gibt es weder in Deutschland noch sonst irgendwo auf der Welt. Ab wie vielen Jahren man wählen und gewählt werden darf, ist in Deutschland nicht einheitlich. Es kommt ganz auf die Art der Wahl an. Bei manchen Landtagswahlen darf man schon mit 16 seine Stimme abgeben, also noch als Jugendlicher. Die Europawahl ist ab 18, genauso wie die Wahl des deutschen Bundestags, denn ab 18 gilt man offiziell als volljährig und damit als erwachsen, zumindest seit 1975. Bis zu diesem Zeitpunkt galt das Alter von 21 Jahren.

18, 21, wieso wurden eigentlich ausgerechnet diese Punkte festgelegt, um zu bestimmen, ab wann man erwachsen ist? Das hat mit Krieg zu tun und mit Rüstung. Im frühen Mittelalter galt man dann als erwachsen, wenn man kämpfen konnte, und das war damals mit 15. Mit der Zeit wurde die Rüstung der mittelalterlichen Reiterkrieger zu schwer für 15-Jährige. Also wurde im England des Hochmittelalters das Mindestalter für den Ritterschlag auf 21 Jahre festgelegt, sodass man das Gewicht seiner Rüstung und der Waffen bewältigen konnte. Dieses Alter für Volljährigkeit und auch zu wählen, hielt sich in vielen Ländern bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

„Wir werden auch die Volljährigkeitsgrenze überprüfen. Mitbestimmung, Mitverantwortung in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft wird eine bewegende Kraft der kommenden Jahre sein.“ In Westdeutschland änderte sich das erst, als hunderttausende junge Menschen auf die Straße gingen und für eine Erneuerung der politischen Landschaft demonstrierten. Denn obwohl die Wehrpflicht ab 18 Jahren bestand, durfte man erst mit 21 wählen. die geburtenstarken Jahrgänge, ja genau das sind diese Baby Boomer, aus denen auch die 68er Generation besteht, setzten die Politik gehörig unter Druck. Da man es sich mit Millionen von potenziellen Wählern nicht verschärfen wollte, wurde das Wahlalter tatsächlich gesenkt. Seit den 1970er Jahren sind junge Menschen in Westdeutschland also mit 18 volljährig und dürfen wählen.

Aber warum eigentlich? Jugendliche dürfen ja auch andere wichtige Entscheidungen treffen. Ab 16 darf man zum Beispiel ein Testament machen, eine Partei gründen und Organe spenden. Ab 14 darf man seine Religion frei wählen und ist strafmündig. Und mit Erlaubnis der Eltern dürfen Minderjährige der Bundeswehr beitreten und Soldaten werden. Jugendliche unter 18 dürfen in unserem Rechtsstaat also schon sehr viel Verantwortung übernehmen. Für Bundes- und Europawahlen sind sie dann aber doch noch zu unreif, zumindest in den Augen des Gesetzgebers.

Was sagt eigentlich die Wissenschaft dazu? Ab wann ist ein Mensch biologisch gesehen reif? Nein, nicht mit 16. Auch nicht mit 18 und auch nicht mit 21. Wenn es um die Entwicklung des Gehirns geht, dann dauerts unsere Pubertät meistens bis Mitte 20. Schuld daran ist der präfrontale Kortex. Dieser Teil des Gehirns ist für das Abschätzen der Folgen einer Handlung verantwortlich. In der Pubertät ist er nur schwach aktiv und der dazugehörige Mensch eher risikobereit und unvernünftig. Bis der präfrontale Kortex völlig ausgereift ist, dauert es ungefähr 25 Jahre. Aus streng naturwissenschaftlicher Perspektive wäre also wahrscheinlich ein Mindestwahlalter von Mitte 20 am vernünftigsten und für manches andere vielleicht auch. Aber das fordert niemand, und zwar aus gutem Grund.

Erstens entwickeln sich menschliche Gehirne unterschiedlich schnell und zweitens würde dies konsequenterweise auch bedeuten, dass Menschen mit anderen Einschränkungen nicht mehr an der Demokratie teilnehmen dürften. Zum Beispiel, wenn im Alter die geistige Leistung wieder abbaut.

Tatsächlich gehen die Forderungen vieler Parteien und Wissenschaftler in die andere Richtung. Wählen ab 16, und zwar bei allen Wahlen sowie es 2020 etwa Grünen-Politiker Robert Habeck forderte. Schauen wir uns einmal die Argumente der Befürworter an: Wer wählen darf, wird sich auch mehr für Politik interessieren. Viele Minderjährige absolvieren eine Ausbildung und zahlen damit Steuern. Sie sollten also auch darüber mitbestimmen können, wie diese Gelder verwendet werden. Und Jugendliche müssen mit den Entscheidungen, die von der Politik getroffen werden, sehr viel länger leben. Sie haben also Mitspracherecht verdient. Dem Jugendforscher Klaus Hurrelmann und selbst dem deutschen Familienverband geht Wählen ab 16 aber noch nicht weit genug. Sie fordern Wahlrecht ab 12 oder sogar gar keine Altersgrenzen. Entscheidend sei nämlich die Fähigkeit, einzuschätzen, worum es bei einer Wahl geht und nicht das Alter.

Das wohl häufigste Argument von Gegnern des Jugendwahlrechts wie zum Beispiel des Rechtswissenschaftlers und früheren CDU-Politikers Hans Hugo Klein lautet, jungen Menschen fehle schlichtweg die Reife, um weitreichende Entscheidungen treffen zu können. Sie seien also anfälliger für Populismus und Extremismus.

Es gibt auch noch andere Ansätze, junge Stimmen mehr zählen zu lassen. Zum Beispiel das Familienwahlrecht. Nach diesem Konzept würden Eltern eine zusätzliche Stimme pro Kind erhalten. Stimmen, die danach rufen, gibt es übrigens in fast jeder Partei. Sie argumentieren, dass man so mündige Bürger erziehe und junge Familien mehr Gehör fänden. Gegner des Familienrechts hingegen argumentieren, dass so alleinstehende oder kinderlose Menschen diskriminiert würden, weil ihre Stimmen dann weniger zählen. Alle diese Forderungen zielen auf das gleiche ab, nämlich dem unausgewogenen Verhältnis von Jung und Alt in der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Aber wie sieht diese Gewichtung eigentlich aus? Aktuell sind die durchschnittlichen Deutschen 42 Jahre alt und sie werden immer älter. 1987 waren die Altersgruppen der unter 30-Jährigen und der über 60-Jährigen etwa gleich groß. Bei der Bundestagswahl 2017 war die Gruppe der älteren Wähler schon mehr als doppelt so groß wie die der jungen. Und bis 2060 wird die Hälfte aller Wähler älter als 57 Jahre sein. Bedeutet das: Wir bekommen eine Politik, die nur für Rentner gemacht wird?

„Über ein Drittel der Wahlberechtigten sind über 60. An uns vorbei wird hier keiner Kanzler und wir sind die erste Seniorengenerationen die offen sagt: ‚Wir möchten, dass es unseren Kindern mal schlechter geht.‘“ Klar, 20-Jährigen oder 70-Jährigen sind andere Themen wichtig. Welche genau, das zeigt eine Studie, die das Umfrageinstitut 2017 für die Zeitung ‚Die Welt‘ durchführte. Für die 50- bis 64-Jährigen war Zuwanderung das wichtigste politische Thema. Für die 18- bis 29-Jährigen war es soziale Gerechtigkeit. Die älteren haben mehr Angst vor Terrorismus, die jüngeren vor Umweltzerstörung. Beides ernste Themen. Doch obwohl Terrorismus vielleicht konkreter und besser greifbar ist, eine existenzielle Bedrohung ist er in Deutschland nicht. Die Chance, bei einem Terrorangriff zu sterben, lag zwischen 2001 und 2007 bei 1 zu 47 Millionen. Dennoch nahmen Terrorismus und innere Sicherheit lange Zeit einen zentralen Platz in der politischen Debatte ein, während der menschgemachte Klimawandel vergleichsweise stiefmütterlich behandelt wurde. Und das, obwohl ein ungebremster Klimawandel für uns und gerade für zukünftige Generation katastrophale Folgen haben könnte. Der Protest gegen die Klimapolitik der Regierung treibt Millionen von Kindern und Jugendlichen weltweit auf die Straße, um deutlich zu machen, welche Themen ihnen wichtig sind. Die Frage der Nachhaltigkeit betrifft aber nicht nur Umwelt, sondern zum Beispiel auch soziale Gerechtigkeit. Und nur sechs Prozent der Jungen finden unser Rentensystem gerecht. Bei den 65-Jährigen sind es fast fünfmal so viele.

Daraus ergibt sich folgendes Bild: Es gibt einfach mehr alte Menschen, die wahlberechtigt sind als junge. Gleichzeitig ist die Wahlbeteiligung bei jungen Menschen geringer. Beim Brexit oder auch bei der Wahl von Donald Trump kamen genau diese beiden Faktoren zusammen. Und wer in Deutschland gewählt werden und regieren will, der ist quasi gezwungen, Politik für die Alten zu machen. Aber trotzdem, wer möchte, dass die Politik sich um die eigenen Themen kümmert, der muss auch wählen gehen.

Es stimmt, dass die Alten den politischen Diskurs gerade stark bestimmen können. Jetzt sind die rebellischen 68er nämlich älter, gesetzter und auch heute noch deutlich in der Überzahl. Und sie gehen häufiger wählen als die jungen. Die größte Gruppe hat mehr Einfluss. Eigentlich klar in einer Demokratie. Dass das per sie schlechter ist oder generell zu kurzfristigeren Entscheidungen führt, lässt sich so nicht beweisen. Denn weder die alten noch die jungen wählen zum Beispiel besonders häufig extrem oder treffen kurzsichtige politische Entscheidungen. Und was ist in Fällen, in denen Alt und Jung doch völlig anderer Meinung sind? Das gehört zu einer Demokratie dazu, denn sie lebt vom Diskurs und der findet nicht nur im Parlament statt. Mit Bewegungen wie den 68ern oder heute Fridays for Future gelang es gerade jungen Menschen, drängende Probleme auf die Agenda der Regierungen zu setzen. Oder anders gesagt: Solange sich Alt und Jung noch streiten und nicht anschweigen, dürfte die Demokratie safe sein.

Was denkt ihr? Sollten junge Stimmen mehr zählen? Muss das Wahlalter gesenkt werden? Oder findet ihr eigentlich alles ganz cool so wie es ist? Wir freuen uns darauf, eure Meinung in den Kommentaren zu lesen, und abonniert den Roten Faden, wenn ihr die nächste Folge nicht verpassen wollt.  

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